Frau Doktor gehört zum Inventar
Bericht in den Nürnberger Nachrichten vom 14. April 2010
Bericht in den Nürnberger Nachrichten vom 14. April 2010
„Natürlich bin ich eine Landärztin, schauen sie doch nur mal aus dem Fenster“. Beate Müller schiebt den Vorhang zur Seite und deutet auf die große Wiese hinter ihrem Haus in Buch. Im Erdgeschoss behandelt die 46-Jährige ihre Patienten, darüber wohnt sie.
Hinter der Wiese: Bäume, einzelne Häuser. Hausärztin Beate Müller liebt es naturnah, seit 1993 wohnt sie im Knoblauchsland, seit zwölf Jahren praktiziert sie im bäuerlichen Norden Nürnbergs. „Ich habe mich in der Stadt nie wohlgefühlt, hier draußen haben die Menschen mehr Vertrauen zu ihrem Hausarzt, sie sind nicht so ängstlich und halten mehr aus.“
„Hallo Frau Doktor“, „Hey, Frau Nachbarin“: Beate Müllers Patienten haben keine falsche Scheu, wenn sie zur Sprechstunde in das schmale, weiße Haus in einem Hinterhof in der Bücher Hauptstraße kommen. „Ich mag diese Nähe zu den Menschen“, sagt die Ärztin, regelmäßig wird sie zu Feuerwehrfesten oder Kirchweihen eingeladen. Und Müller, die privat eigentlich lieber ins Theater geht, kommt gerne.
Legere Art
„Die Leute erwarten, dass Frau Doktor eine von ihnen ist“, und sie freut sich darüber, dass die Menschen ihre legere Art mögen. Müller schätzt Motorräder, geht gerne mit ihren zwei Hunden spazieren. Piekfein aufzutreten ist ihr fremd.
Dass sie eine geborene Landpflanze ist, wurde Beate Müller schon während der Ausbildung klar. „Ich habe unter anderem im Krankenhaus in Schnaittach gearbeitet und gemerkt, dass ich mit der Landbevölkerung und vor allem mit den älteren Patienten gut kann.“ Als ein Kollege in Buch starb und ihr die Witwe die Praxis anbot, fackelte sie nicht lange. „Der Anruf kam, als ich im Auto saß und in den Urlaub fuhr. Ich habe gleich zugesagt.“
Müller weiß, dass viele ihrer Kollegen das nicht verstehen. „Ich wollte mal einen Facharzt mit in meine Praxis holen, habe aber nur Absagen kassiert“, erinnert sie sich. „Ich geh’ doch nicht aufs Land“, bekam sie zu hören. Als sei Schlimmeres nicht denkbar. „Die Politik muss etwas tun, um das Image des Landarztes zu verbessern“, findet Müller. Noch hat sie in den größeren Orten im Knoblauchsland Kollegen, doch wer weiß, was ist, wenn die mal auf hören.
Anreize schaffen
„Die Arbeitszeiten hier draußen sind, wie sie sind.“ Da könne man nichts ändern. „Anreize kann man nur über eine bessere Bezahlung schaffen“, sagt die 46-Jährige.
Was die Arbeitszeit anbelangt, weiß Müller, dass sie im Knoblauchsland im Vergleich zu Landärzten draußen in kleinen Orten in der Fränkischen noch Glück hat. „Die müssen nämlich auch die Notdienste selber übernehmen, wir hier haben die Luxus-Situation, dass die Patienten die Notrufnummer wählen und nicht immer wir Hausärzte raus müssen.“
Dennoch: Die räumliche Nähe zu „Frau Doktor“ verführt immer wieder Patienten, abends oder an Feiertagen mal schnell durchzuklingeln. „Erst Ostersamstag rief mich eine Patientin an, weil sie eine Stunde vergeblich auf den Notdienst gewartet hatte.“ Also fuhr Müller los und schaute nach dem Rechten.
Das klingt nach Stress. Aber Müller freut sich auch, dass ihr die Menschen so vertrauen. Vertrauen gedeiht dort, wo man sich lange kennt. Müller hat in vielen Familien schon die Großeltern behandelt und verarztet jetzt die Enkel. „Ich bin auch Seelsorger und Job Vermittler. Viele kommen nur, um zu reden.“ Müller legt gerne Hand an bei ihren Patienten, wie sie sagt. Wenn etwas schmerzt, sage sie: „Zeigen Sie mal her.“ Egal, ob Körper oder Seele zwicken. Der Anfang sei nicht leicht gewesen: „Die Konkurrenz durch die alteingesessenen männlichen Kollegen war groß.“ Müller war die erste Hausärztin im Nürnberger Bauernland. Was aber auch einen Vorteil hatte: „Plötzlich hatte ich viele Kinder aus der Region in meinem Wartezimmer.“
Große Erwartungen
Weil die Scheu vor einem Besuch beim Facharzt groß sei und die Wege mit dem Bus bis zu den Spezialisten in der Innenstadt weit, erwarten Müllers Patienten oft, dass sie auch spezielle medizinische Probleme lösen kann. Diese hohen Erwartungen sind nicht unproblematisch. Ebenso wie das Verhalten einiger Patienten „auf dem Land“, erst spät mit Beschwerden zum Arzt zu gehen.
Müller hatte einen Patienten, der ein Wochenende mit einem halb abgerissenen Ohr durchstand, weil er nicht zu einem fremden Notarzt oder ins Krankenhaus wollte. Auch noch Schlimmeres schieben viele ihrer Patienten auf die lange Bank, weshalb Müllers Praxis auffällig üppig mit Info- Broschüren über Krebserkrankungen ausgestattet ist. „Wir stecken viel Energie in Vorsorge.“
Ihre Vorliebe fürs Dasein als Landärztin versucht Beate Müller jungen Kollegen in der Ärzteausbildung nahe zu bringen. „Und ich habe schon ein paar angehenden Ärzten Lust aufs Land machen können“, sagt sie erfreut.